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Thomas Kremers

 

Kooperatives Lernen – Ein Schlüssel zur Entwicklung professioneller Lerngemeinschaften!?

 

Veränderungsprozesse[1] zeichnen sich durch hochkomplexe und nicht lineare Entwicklungen aus, die nur in geringem Maße planbar sind und oft chaotisch verlaufen. Als Resultate dieser widersprüchlichen und konfliktreichen Prozesse ergeben sich dann Innovationen, die überraschend und Ausgangspunkt für eitere Entwicklungen sind. So gibt es auch keine Blaupause für die Implementierung des Kooperativen Lernens: Der Entwicklungsprozess verläuft an jeder Schule und in jeder Region anders. Trotzdem gibt es wichtige gemeinsame Punkte, die bei der Umsetzung des Kooperativen Lernens eine wichtige Rolle spielen und im Prozess der Implementierung identifiziert werden können.

 

1. Unterrichts- und Schulentwicklung durch Kooperatives Lernen

 

1.1. Das Kooperative Lernen ist ein offenes Konzept, das ein Konglomerat diverser sich positiv ergänzender Konzepte darstellt und wiederum mit anderen Lernkonzepten und Unterrichtsprinzipien wie Handlungsorientierung produktiv verknüpft werden kann. Kooperative Lerneinheiten können ebenfalls soziale, kommunikative und methodische Basiskompetenzen für die erfolgreiche Umsetzung anderer Unterrichtskonzepte vermitteln.

 

1.2. Die Faszination des Kooperativen Lernens entsteht anfangs oft aus den sehr effektiven Methoden und dem Gefühl, dass Unterricht wieder Spaß macht. Diese positiven Erfahrungen sind ein wichtiger emotionaler Faktor bei der Überwindung des Implementation Dip und der langfristigen Umsetzung kooperativer Lernformen. Ein typischer Stolperstein für die Unterrichts- und Schulentwicklung durch KL kann die besonders im Anfangsstadium bei KollegInnen wahrnehmbare starke Methodenorientierung sein. KL kann zwar auf die Nutzung als Methodensteinbruch reduziert werden, verliert damit aber seine tiefer gehenden Dimensionen.

 

1.3. Beim KL geht es zwar wesentlich um eine veränderte Haltung der Lehrpersonen, dennoch wird der erste Zugang zum Kooperativen Lernen oft durch die Anwendung von konkreten Methoden geleistet. Deshalb sind regelmäßige und kontinuierliche Fortbildungen so wichtig, damit die vertiefende Qualifizierung nach einem euphorischen und häufig methodenorientierten Beginn gewährleistet ist.

 

1.4. Durch die Fortbildungen sollten Impulse für die Praxis gegeben werden, die dann in weiteren Fortbildungen reflektiert und verbessert wird. Es geht also um eine mit anderen Kollegen reflektierte Praxis[2].

 

1.5. Eine oft zu beobachtende Sackgasse ist die Reduktion des KL auf eine rein fachliche Ebene. An diesem Entwicklungspunkt besteht die Gefahr, dass mit der Reduzierung auf fachspezifisch anwendbare Methoden der umfassendere Ansatz des KL verloren gehen kann. Dennoch erscheint eine fachspezifische Herangehensweise als Zwischenetappe sinnvoll.

 

1.6. Die Implementierung des Kooperativen Lernens erfordert viel Zeit: In der Regel brauchen diese Veränderungsprozesse wenigstens fünf bis zehn Jahre. Deshalb sind Einstellungen wie Geduld und Gelassenheit aber auch und häufige Zwischenbilanzen wichtige Bestandteile des Veränderungsprozesses.

 

1.7. Schulen sind hierarchische Systeme: Nur durch die permanente und intensive Kommunikation der Initiativ-Gruppe oder der MultiplikatorInnen mit der Schulleitung kann ein nachhaltiger Schulentwicklungsprozess realisiert werden. Die Schulleitungen müssen sich den Prozess zueigen machen: Es reicht nicht, diesen wohlwollend einem Selbstlauf zu überlassen. Vielmehr müssen Schulleitungen auch immer wieder diesen Prozess z.B. durch regelmäßige Treffen mit dem Initiativ-Team stabilisieren und durch Unterstützung und motivierende Anreize verstärken.

 

1.8. Graswurzelbewegung (Bottom-Up-Prozesse) und Impulse durch Schulaufsichtsbehörden (Top-Down-Prozesse) müssen sich gegenseitig ergänzen: Ohne eine Graswurzelbewegung würde das Kooperative Lernen dirigistisch an den Schulen implementiert. Dies würde eher zu Widerstand als zu produktiven Veränderungsprozessen führen. Eine Graswurzelbewegung ohne Unterstützung durch zuständige Schulräte, Dezernenten usw. stößt auf Grenzen, wenn die personellen und materiellen Ressourcen für eine langfristige Schulentwicklung nicht ausreichen.

 

1.9. Die Veränderungsprozesse zielen zwar auf die Veränderung von Institutionen ab, wichtige Träger sind aber neben Gruppen auch die beteiligten Personen. Entwicklungsprozesse leben auch vom Engagement einzelner KollegInnen (Bedeutung der Individuen im Veränderungsprozess).

 

1.10. Schulen profitieren bei der Implementierung des Kooperativen Lernens von regionalen Netzwerken, die qualifizierte und kontinuierliche Fortbildungsangebote koordinieren und damit langfristig absichern und die Kooperation zwischen den Schulen verstärken.

 

1.11. Auch die Kooperation von Schulen mit Studienseminaren, in denen mittlerweile intensiv kooperative Lernformen vermittelt werden, führt zu einer Intensivierung des Prozesses.

 

1.12. Eine wissenschaftliche Begleitung von Universitäten sollte ebenfalls die Prozesse an den Schulen durch Analysen der Prozesse und Beratung unterstützen.

 

2. Kooperatives Lernen als Impuls zur Entwicklung professioneller Lerngemeinschaften

 

Die bisher identifizierten Elemente von Unterrichts- und Schulentwicklung entsprechen wesentlichen Kriterien für die Entwicklung professioneller Lerngemeinschaften:

 

2.1. Das Kooperative Lernen kann ein Schlüssel zur Entwicklung einer neuen Lernkultur an Schulen sein, die über den Einsatz kooperativer Lernverfahren im Unterricht einzelner KollegInnen hinausgeht.

 

2.2. Langfristig können in diesem Prozess professionelle Lerngemeinschaften mit einer neuen Lern- und Arbeitskultur entstehen, die wesentlich durch Kooperation gekennzeichnet sind.

 

2.3. Es scheint typische Entwicklungsstufen bei der Implementierung des Kooperativen Lernen zu geben, die auch charakteristisch für professionelle Lerngemeinschaften zu sein scheinen:

 

- Begegnung einer kleiner Gruppe mit dem Konzept (Initiativ-Gruppe)

- Verbreiterung der personellen Basis durch Fortbildungen

- vertiefende Qualifizierung durch regelmäßige Fortbildungen (nachhaltige Fortbildungen)

- Erfahrungsaustausch und Aneignung neuer Methoden in regelmäßigen Treffen (Reflexion von Unterricht)

- gegenseitige Unterstützung (Kooperation)

- gegenseitige Hospitationen (Öffnung des Unterrichts)

- Unterstützung durch die Schulleitung

- Aufnahme des Kooperativen Lernens in das Schulprogramm (gemeinsame Werte und Normen)

- Herausbildung regionaler Kooperationsstrukturen

 

2.4. Im Veränderungsprozess können Quantitäten (Anzahl der KollegInnen, die KL im Unterricht umsetzen) in neue Qualitäten (Entwicklung einer kooperativen Lern- und Arbeitskultur in einer professionellen Lerngemeinschaft) umschlagen.

 

Bonsen und Rolff[3] greifen Strukturmerkmale von Newman und Kruse auf, die fünf zentrale Kriterien für eine professionelle Lerngemeinschaft identifizieren:

1. Reflektierender Dialog (im Sinne von Schöns (987) „reflective practitioner“)

2. Deprivatisierung der Praxis ( Unterricht ist eine persönliche, aber keine private Angelegenheit)

3. Gemeinsamer Fokus auf Schüler-Lernen (womit der Fokus vom Lehrern auf Lernen verschoben wird)

4. Zusammenarbeit

5. Gemeinsam geteilte Normen und Werte

Vergleicht man diese Kriterien mit den Elementen des Entwicklungsprozesses, die durch die Implementierung des Kooperativen Lernens ausgelöst werden, lassen sich strukturell große Gemeinsamkeiten finden.



[1] In die Arbeitshypothesen sind Überlegungen von Fullan zu Strukturen von Veränderungsprozessen eingeflossen: Michael Fullan, Change Forces, London 1993, vgl. das Kapitel “The Complexity of the Change Process”, S. 19-41.

[2] Vgl. Hilbert Meyer: LehrerInnen als reflektierende Praktiker

 

[3]Martin Bonsen/ Hans-Günter Rolff: Professionelle Lerngemeinschaften von Lehrerinnen und Lehrern, S. 9.